Immer wieder muss die Verteidigung mitansehen, dass die Staatsanwaltschaft Zeugen, deren Aussagen nicht verurteilungskonform sind, in der Hauptverhandlung, bzw. nach kurzer Unterbrechung der Hauptverhandlung, in eine Art »Besinnungshaft« nimmt.
Dass es dabei nicht immer um die Erforschung der Wahrheit geht, sondern vielmehr darum, die Verurteilung nicht zu gefährden, ist häufig leicht zu durchschauen.
Die Staatsanwaltschaft tritt dabei gerne machorientiert breitbeinig auf, leider gerne auch intellektuell unterkomplex.
Zutreffend führt Temming1 dazu aus:
Dabei handelt es sich um eine spektakuläre Maßnahme, die vor allem in psychologischer Hinsicht eine erhebliche Wirkung auf das Strafverfahren ausübt. [...]
Daher sollte der Staatsanwalt eine vorl. Festnahme erst gar nicht erwägen, wenn er nicht beabsichtigt, sodann beim zuständigen Amtsgericht den Erlass eines Haftbefehls zu beantragen.
Inhaltsverzeichnis
Handlungsanleitungen für die Staatsanwaltschaft
136 RiStBV | Verdacht strafbarer Falschaussagen
Ergibt sich im Laufe der Verhandlung ein begründeter Verdacht, dass sich ein Zeuge oder ein Sachverständiger einer Eidesverletzung oder einer falschen uneidlichen Aussage schuldig gemacht hat, so beantragt der Staatsanwalt, die beanstandete Aussage zur Feststellung des Tatbestandes für ein künftiges Ermittlungsverfahren zu beurkunden (§ 183 GVG, § 273 Abs. 3 StPO).
(Hervorhebung hinzugefügt)
Er sorgt für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens und veranlasst, wenn nötig, die vorläufige Festnahme des Zeugen oder Sachverständigen.
Handbuch für die staatsanwaltliche Tätigkeit2
Darüber hinaus stellt sich bei Falschaussagen in der Sitzung die Frage, ob die sofortige Festnahme des betreffenden Zeugen veranlasst ist. Ob der Staatsanwalt zur vorläufigen Festnahme des Zeugen berechtigt ist, bestimmt sich nach § 127 Abs. 2 StPO, d.h. es müssen die Voraussetzungen eines
Haftbefehls sowie Gefahr im Verzug vorliegen. Vor einer vorläufigen Festnahme hat der Staatsanwalt also zu prüfen:
- Besteht der dringende Verdacht eines Aussagedelikts?
- Liegt ein Haftgrund nach § 112 StPO vor?
- Ist ein sofortiges Einschreiten erforderlich?
Voraussetzungen einer »vorläufigen Festnahme«
Ausgangsnorm für die »vorläufige Festnahme« ist § 127 StPO.
(1) Wird jemand auf frischer Tat betroffen oder verfolgt, so ist, wenn er der Flucht verdächtig ist oder seine Identität nicht sofort festgestellt werden kann, jedermann befugt, ihn auch ohne richterliche Anordnung vorläufig festzunehmen. Die Feststellung der Identität einer Person durch die Staatsanwaltschaft oder die Beamten des Polizeidienstes bestimmt sich nach § 163b Abs. 1.
(2) Die Staatsanwaltschaft und die Beamten des Polizeidienstes sind bei Gefahr im Verzug auch dann zur vorläufigen Festnahme befugt, wenn die Voraussetzungen eines Haftbefehls oder eines Unterbringungsbefehls vorliegen.
(3) Ist eine Straftat nur auf Antrag verfolgbar, so ist die vorläufige Festnahme auch dann zulässig, wenn ein Antrag noch nicht gestellt ist. Dies gilt entsprechend, wenn eine Straftat nur mit Ermächtigung oder auf Strafverlangen verfolgbar ist.
(4) Für die vorläufige Festnahme durch die Staatsanwaltschaft und die Beamten des Polizeidienstes gelten die §§ 114a bis 114c entsprechend.
§ 127 StPO| Vorläufige Festnahme
»Vorläufige Festnahme« nach § 127 Abs. 1 StPO
Eine »vorläufige Festnahme« nach Absatz ist ist eher fernliegend. Die Feststellung der Identität dürfte nach erfolgreicher Ladung nicht erforderlich sein. Auch die Alternative »der Flucht verdächtig« scheint wenig praxisnah3.
»Vorläufige Festnahme« nach § 127 Abs. 2 StPO
Auch die Voraussetzungen des Absatz 2 sind in aller Regel nicht erfüllt:
- Gefahr im Verzug
- Vorliegen der Voraussetzungen für einen Haftbefehl oder einen Unterbringungsbefehl
Gefahr in Verzug
Fluchtgefahr, § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO
Hierzu zutreffend sogar im »Handbuch für die staatsanwaltliche Tätigkeit«4:
Unter Berücksichtigung der Straferwartung bei Aussagedelikten wird der Haftgrund der Fluchtgefahr bei Zeugen, die in gesicherten sozialen Verhältnissen im Inland leben, kaum jemals zu bejahen sein.
Verdunkelungsgefahr, § 112 Abs. 2 Nr. 3 StPO
Es ist auch schwer vorstellbar, wie eine Verdunkelungsgefahr begründet werden soll. Die Aussage wurde vor einer hinreichenden Anzahl von Zeugen gemacht, den Richtern, Staatsanwalt, Protokollführer etc. Wie hier eine Verdunkelungshandlung auch nur möglich sein soll, ist schleierhaft.
Praktische Umsetzung der »vorläufigen Festnahme“
Protokollierung gem. § 183 GVG, § 273 Abs. 3 StPO
Eine solche Protokollierung ist nicht nur nach Nr. 136 RiStBV vorgesehen, sondern dient auch dem Beweisschutz. Gleichwohl erlebt man immer wieder, dass die Staatsanwaltschaft hiervon keinen Gebrauch macht, sondern rechtswidrig und unredlich eine Verdunkelungsgefahr behauptet.
Spätestens nach einer Protokollierung ist eine Verdunkelungshandlung nahezu ausgeschlossen. Daher ist die Protokollierung als milderes Mittel zwingend vor einer Festnahme zu beantragen.
Unterbrechungsantrag der Staatsanwaltschaft
Die Durchführung einer »vorläufigen Festnahme« als hoheitliche Maßnahme im Gerichtssaal würde in die Sitzungshoheit des Vorsitzenden eingreifen5.
Vollzug der Festnahme
Informations-, Belehrungs- und Benachrichtigungspflichten | § 127 Abs. 4 StPO
Regelmäßig werden die Pflichten nach § 127 Abs. 4 StPO bei des Festnahme ebenso ignoriert, wie von der Großzahl der Kommentare zur StPO.
Dem Betroffenen ist im Zeitpunkt der Festnahme mitzuteilen, welches die Gründe für seine Verhaftung sind und welche Beschuldigungen gegen ihn erhoben werden (§ 114a StPO).
Darüber hinaus ist der Betroffene unverzüglich zu belehren (§ 114b StPO) und ihm eine Gelegenheit zu geben, Angehörige oder eine Person der Vertrauens Benachrichtigen.
Da die Staatsanwaltschaft hierauf im Machtrausch gerne verzichtet, sollte die Verteidigung dies genau beobachten, um das Fehlverhalten zum Gegenstand in der weiteren Verteidigung zu machen.
Handlungsoptionen für die Verteidigung
Vor der Festnahme
Im Vorfeld der Festnahme sollte die Verteidigung sich inhaltlich positionieren und noch in der laufenden Hauptverhandlung das Wort ergreifen.
Sofern die Staatsanwaltschaft bereits die Aussetzung zur Durchführung der Festnahme beantragt hat, kann die Verteidigung beantragen, dies nach § 183 GVG protokollieren zu lassen. Immerhin hat die Staatsanwaltschaft die Begehung einer Straftat angekündigt.
Dem Gericht kann klar gemacht werden, dass sie sich durch die Unterbrechung möglicherweise der Beihilfe strafbar macht.
Zuletzt sollte das Gericht darauf hingewiesen werden, dass eine geänderte Aussage nach einer »Nötigungshaft« keinerlei Beweiswert haben kann.
Nach der Festnahme
Im fortgeführten Ausgangsverfahren
Fußnoten
- Temming in BeckOK StPO, 46. Ed. 1.1.2023, RiStBV 136 Rn. 5.
- Andrä/Tischer in Vordermayer; von Heintschel-Heinegg; Schnabl; Beckstein »Handbuch für die staatsanwaltliche Tätigkeit« 7. Auflage 2023, Kap. 34 Rn. 74.
- So auch Temming in BeckOK StPO, 46. Ed. 1.1.2023, RiStBV 136 Rn. 5.
- Andrä/Tischer in Vordermayer; von Heintschel-Heinegg; Schnabl; Beckstein »Handbuch für die staatsanwaltliche Tätigkeit« 7. Auflage 2023, Kap. 34 Rn. 75.
- So auch Temming in BeckOK StPO, 46. Ed. 1.1.2023, RiStBV 136 Rn. 6.