Immer wieder muss die Verteidigung mitansehen, dass die Staatsanwaltschaft Zeugen, deren Aussagen nicht verurteilungskonform sind, in der Hauptverhandlung, bzw. nach kurzer Unterbrechung der Hauptverhandlung, in eine Art »Besinnungshaft« nimmt.

Dass es dabei nicht immer um die Erforschung der Wahrheit geht, sondern vielmehr darum, die Verurteilung nicht zu gefährden, ist häufig leicht zu durchschauen.

Die Staatsanwaltschaft tritt dabei gerne machorientiert breitbeinig auf, leider gerne auch intellektuell unterkomplex.

Zutreffend führt Temming1 dazu aus:

Dabei handelt es sich um eine spektakuläre Maßnahme, die vor allem in psychologischer Hinsicht eine erhebliche Wirkung auf das Strafverfahren ausübt. [...]
Daher sollte der Staatsanwalt eine vorl. Festnahme erst gar nicht erwägen, wenn er nicht beabsichtigt, sodann beim zuständigen Amtsgericht den Erlass eines Haftbefehls zu beantragen.

Inhaltsverzeichnis

Handlungsanleitungen für die Staatsanwaltschaft

136 RiStBV | Verdacht strafbarer Falschaussagen

Ergibt sich im Laufe der Verhandlung ein begründeter Verdacht, dass sich ein Zeuge oder ein Sachverständiger einer Eidesverletzung oder einer falschen uneidlichen Aussage schuldig gemacht hat, so beantragt der Staatsanwalt, die beanstandete Aussage zur Feststellung des Tatbestandes für ein künftiges Ermittlungsverfahren zu beurkunden (§ 183 GVG, § 273 Abs. 3 StPO).
Er sorgt für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens und veranlasst, wenn nötig, die vorläufige Festnahme des Zeugen oder Sachverständigen.

(Hervorhebung hinzugefügt)

Handbuch für die staatsanwaltliche Tätigkeit2

Darüber hinaus stellt sich bei Falschaussagen in der Sitzung die Frage, ob die sofortige Festnahme des betreffenden Zeugen veranlasst ist. Ob der Staatsanwalt zur vorläufigen Festnahme des Zeugen berechtigt ist, bestimmt sich nach § 127 Abs. 2 StPO, d.h. es müssen die Voraussetzungen eines
Haftbefehls sowie Gefahr im Verzug vorliegen. Vor einer vorläufigen Festnahme hat der Staatsanwalt also zu prüfen:

Voraussetzungen einer »vorläufigen Festnahme«

Ausgangsnorm für die »vorläufige Festnahme« ist § 127 StPO.

(1) Wird jemand auf frischer Tat betroffen oder verfolgt, so ist, wenn er der Flucht verdächtig ist oder seine Identität nicht sofort festgestellt werden kann, jedermann befugt, ihn auch ohne richterliche Anordnung vorläufig festzunehmen. Die Feststellung der Identität einer Person durch die Staatsanwaltschaft oder die Beamten des Polizeidienstes bestimmt sich nach § 163b Abs. 1.

(2) Die Staatsanwaltschaft und die Beamten des Polizeidienstes sind bei Gefahr im Verzug auch dann zur vorläufigen Festnahme befugt, wenn die Voraussetzungen eines Haftbefehls oder eines Unterbringungsbefehls vorliegen.

(3) Ist eine Straftat nur auf Antrag verfolgbar, so ist die vorläufige Festnahme auch dann zulässig, wenn ein Antrag noch nicht gestellt ist. Dies gilt entsprechend, wenn eine Straftat nur mit Ermächtigung oder auf Strafverlangen verfolgbar ist.

(4) Für die vorläufige Festnahme durch die Staatsanwaltschaft und die Beamten des Polizeidienstes gelten die §§ 114a bis 114c entsprechend.

§ 127  StPO| Vorläufige Festnahme

»Vorläufige Festnahme« nach § 127 Abs. 1 StPO

Eine »vorläufige Festnahme« nach Absatz ist ist eher fernliegend. Die Feststellung der Identität dürfte nach erfolgreicher Ladung nicht erforderlich sein. Auch die Alternative »der Flucht verdächtig« scheint wenig praxisnah3.

»Vorläufige Festnahme« nach § 127 Abs. 2 StPO

Auch die Voraussetzungen des Absatz 2 sind in aller Regel nicht erfüllt:

Gefahr in Verzug

Fluchtgefahr, § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO

Hierzu zutreffend sogar im »Handbuch für die staatsanwaltliche Tätigkeit«4:

Unter Berücksichtigung der Straferwartung bei Aussagedelikten wird der Haftgrund der Fluchtgefahr bei Zeugen, die in gesicherten sozialen Verhältnissen im Inland leben, kaum jemals zu bejahen sein.

Verdunkelungsgefahr, § 112 Abs. 2 Nr. 3 StPO

Es ist auch schwer vorstellbar, wie eine Verdunkelungsgefahr begründet werden soll. Die Aussage wurde vor einer hinreichenden Anzahl von Zeugen gemacht, den Richtern, Staatsanwalt, Protokollführer etc. Wie hier eine Verdunkelungshandlung auch nur möglich sein soll, ist schleierhaft.

Praktische Umsetzung der »vorläufigen Festnahme“

Protokollierung gem. § 183 GVG, § 273 Abs. 3 StPO

Eine solche Protokollierung ist nicht nur nach Nr. 136 RiStBV vorgesehen, sondern dient auch dem Beweisschutz. Gleichwohl erlebt man immer wieder, dass die Staatsanwaltschaft hiervon keinen Gebrauch macht, sondern rechtswidrig und unredlich eine Verdunkelungsgefahr behauptet.

Spätestens nach einer Protokollierung ist eine Verdunkelungshandlung nahezu ausgeschlossen. Daher ist die Protokollierung als milderes Mittel zwingend vor einer Festnahme zu beantragen.

Unterbrechungsantrag der Staatsanwaltschaft

Die Durchführung einer »vorläufigen Festnahme« als hoheitliche Maßnahme im Gerichtssaal würde in die Sitzungshoheit des Vorsitzenden eingreifen5.

Vollzug der Festnahme

Informations-, Belehrungs- und Benachrichtigungspflichten | § 127 Abs. 4 StPO

Regelmäßig werden die Pflichten nach § 127 Abs. 4 StPO bei des Festnahme ebenso ignoriert, wie von der Großzahl der Kommentare zur StPO.

Dem Betroffenen ist im Zeitpunkt der Festnahme mitzuteilen, welches die Gründe für seine Verhaftung sind und welche Beschuldigungen gegen ihn erhoben werden (§ 114a StPO).

Darüber hinaus ist der Betroffene unverzüglich zu belehren (§ 114b StPO) und ihm eine Gelegenheit zu geben, Angehörige oder eine Person der Vertrauens Benachrichtigen.

Da die Staatsanwaltschaft hierauf im Machtrausch gerne verzichtet, sollte die Verteidigung dies genau beobachten, um das Fehlverhalten zum Gegenstand in der weiteren Verteidigung zu machen.

Handlungsoptionen für die Verteidigung

Vor der Festnahme

Im Vorfeld der Festnahme sollte die Verteidigung sich inhaltlich positionieren und noch in der laufenden Hauptverhandlung das Wort ergreifen.

Sofern die Staatsanwaltschaft bereits die Aussetzung zur Durchführung der Festnahme beantragt hat, kann die Verteidigung beantragen, dies nach § 183 GVG protokollieren zu lassen. Immerhin hat die Staatsanwaltschaft die Begehung einer Straftat angekündigt.

Dem Gericht kann klar gemacht werden, dass sie sich durch die Unterbrechung möglicherweise der Beihilfe strafbar macht.

Zuletzt sollte das Gericht darauf hingewiesen werden, dass eine geänderte Aussage nach einer »Nötigungshaft« keinerlei Beweiswert haben kann.

Nach der Festnahme

Im fortgeführten Ausgangsverfahren

Fußnoten

Neben den gesetzlichen Haftgründen gibt es mehr oder weniger unangezweifelt in der Praxis die sogenannten »Apokryphen Haftgründe«, also die paralegalen Haftgründe in der Strafverfolgungspraxis.

Dass es sich dabei um rechtswidrige Freiheitsberaubung handelt kann die zuständigen Staatsanwaltschaften und Ermittlungsrichter nicht von der Anwendung abhalten.

Vielmehr gibt es einem Handbuch für Staatsanwälte den sachdienlichen Hinweis:

Handbuch für den Staatsanwalt 1

Die Briefkontrolle ist bedeutsam als Quelle für die Gewinnung von Beweismitteln, aber auch von Erkenntnissen über die Person des Gefangenen. Sie kann auch für die Frage der Haftfortdauer oder von Lockerungen Bedeutung haben. Bei aller Lästigkeit (Schrift, Vielschreiber, Übersetzungen) sollte sie deshalb gründlich ausgeübt werden.

Dabei darf selbst nach dem strafjustizfreundlichen Kommentar zur StPO die Untersuchungshaft nicht zu anderen Zwecken mißbraucht werden.2

Fußnoten

Bei der Beurteilung der Glaubhaftigkeit einer Belastungsaussage kommt es auch ganz wesentlich auf die Aussagekonstanz an.

Da die Belastungsaussage aber häufig alles andere als konstant sind, scheinen einige Instanzgerichte und einige gerichtsdienliche Sachverständige das Inkadenzphänoment als Allheilmittel zur Sicherung der Verurteilung zu verstehen.

Das ist wissenschaftlich zweifelhaft und rechtlich unzulässig. Zum Glück sehen das auch die Revisionsgerichte skeptisch.

Bitte beachten Sie die neueren Entscheidungen des 4. Strafsenats, wonach eine rein abstrakt-mögliche Beeinträchtigung der Konstanz durch das Inkadenzphänomen nicht ausreichend sein kann; erforderlich ist, dass für die konkrete Inkonstanz im Fall das Inkadenzphänomen konkret seine Wirkung entfaltet hat.

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Literatur

Arntzen, » Psychologie der Zeugenaussage« 1 

Wir bezeichnen das Auftauchen und Versinken von Erinnerungsinhalten, das Phänomen, dass Menschen eine Erinnerung nicht gerade zu einem Zeitpunkt zu reproduzieren vermag, zu dem er sie zu reproduzieren wünscht, dass sie ihm zu einem späteren Zeitpunkt aber durchaus wieder zur Verfügung stehen kann, als "Inkadenzphänomen".

Interessant ist aber freilich, in welchen Fachpublikationen das Inkadenzphänomon keine Erwähnung findet.2

Eine Recherche von Rechtsanwalt Sascha Petzold am 10.12.2021 in der Datenbank des größten medizinischen Verlags »Springer« ergab zu dem Suchbegriff »Inkadenzphänomen« keinen einzigen Treffer.

Aus der Instanzrechtsprechung

LG Ingolstadt, Urteil vom 17 .02.2021 - J KLs 11 Js 20719/18 jug 3

Die Sachverständige erläutert in diesem Zusammenhang auch das sogenannte „Inkadenzphänomen“, welches durch Befunde der Grundlagenforschung bestätigt werde. Dieses führe dazu, dass Gedächtnisinhalte nicht immer vollständig zu jeder Zeit zu jeder beliebigen Zeit abrufbar seien, sodass es daher zu Inkonstanzen bei der Zeugenaussage kommen könne, die jedoch keine inhaltlichen Widersprüche darstellen würden, aufgrund derer an der Glaubhaftigkeit der Aussage insgesamt gezweifelt werden müsse. Es sei durchaus denkbar, dass bei einer Vielzahl von inkriminierten Handlungen im Rahmen unterschiedlicher Befragungssituationen jeweils unterschiedliche Einzelfälle geschildert würden, die aber jeweils per se als glaubhaft eingestuft werden könnten. 
...
Für die Kammer ist es vor diesem Hintergrund nur allzu gut nachvollziehbar, dass Details bei gleichförmigen Geschehensabläufen nicht mehr für alle Einzelfalle von der Zeugin präzise wiedergegeben werden können und es zu Verschmelzungen, Verdrehungen und Auslassungen in den Angaben der Zeugin, auch jeweils abhängig von der einzelnen Vernehmungssituation und der Fragetechnik des Vernehmenden, kommen kann.

Aus der Revisionsrechtsprechung

BGH, Beschluss 23.05.2023 - 4 StR 37/23 4

a) Sofern bei der Aussageanalyse aufgetretene Inkonstanzen in Bezug auf ein wenig vergessensanfälliges Erleben durch das sog. Inkadenzphänomen erklärt werden sollen (im angefochtenen Urteil der von der Nebenklägerin in der Hauptverhandlung auch auf Vorhalt ihrer Angaben bei der Polizei nicht bestätigte Umstand, dass der Angeklagte sie bei einem Vorfall aufgefordert habe, sie selbst solle ihre Beine weiter auseinander machen), ist ein Beleg durch das Tatgericht erforderlich, dass in der Vernehmungssituation tatsächlich ein Gedächtnisverschluss vorgelegen haben könnte (vgl. BGH, Beschluss vom 1. Juli 2022 – 4 StR 96/22 Rn. 8).

BGH, Beschluss vom 01.07.2022 – 4 StR 96/22 5

Das Landgericht hat als Erklärung „unterschiedlich vollständige(r) Berichterstattungen aufgrund von Erinnerungslücken“ das Inkadenzphänomen angeführt, hierzu aber nicht die erforderlichen Feststellungen getroffen. Als Inkadenz (Gedächtnisverschluss) wird im Wesentlichen das vorübergehende Nichterinnern an Details bezeichnet, das verstärkt bei „minderbegabten“, besonders gehemmten oder alten Aussagepersonen auftritt (Häcker in Bender/Häcker/Schwarz, Tatsachenfeststellung vor Gericht, 5. Aufl., Rn. 949). Indessen fehlt es vorliegend an einem Beleg dafür, dass bei der Vernehmung durch die Polizei und bei der Exploration durch die Sachverständige - anders als in der Hauptverhandlung - ein Gedächtnisverschluss des kindlichen Zeugen vorgelegen haben könnte, dessen kognitive Leistungsfähigkeit die Sachverständige als gut durchschnittlich eingestuft hat. Der Nebenkläger hat sich laut den im Urteil wiedergegebenen Erläuterungen der Sachverständigen auch nicht darauf berufen, sich bei früheren Vernehmungen an etwas nicht erinnert zu haben, sondern erklärt, er habe nicht alles erzählt, weil er sich nicht getraut habe.

BGH, Urteil vom 14.12.2021 - 1 StR 234/21 6

Fragwürdig ist, ob sich sämtliche vom Landgericht aufgezeigte Abweichungen in den Angaben der Nebenklägerin bei den drei Vernehmungen (der polizeilichen, ermittlungsrichterlichen und ergänzenden Vernehmung in der Hauptverhandlung) sowie bei der Begutachtung durch die Sachverständige, insbesondere bezüglich des Beginns der Tatserie und des Zeitpunkts des erstmaligen Eindringens mit einem Finger, tatsächlich mit einem "Inkadenzphänomen" erklären ließen (vgl. auch BGH, Urteil vom 27. Februar 2013 - 2 StR 206/12 Rn. 18). Dies ist insbesondere für das Abweichen der Aussagen bezüglich der Steigerung der Intensität der Übergriffe fraglich; Während nach den ersten beiden Vernehmungen der Angeklagte vor dem Campingurlaub in Italien gleich beim ersten sexuellen Übergriff im Kinderzimmer seinen Finger eingeführt haben soll, soll er der Exploration zufolge sich bei den ersten Taten im Intimbereich vorgetastet haben; erst bei späteren Übergriffen sei er eingedrungen.

BGH, Beschluss vom 15. März 2017 - 2 StR 270/16 7 

2. Die Beweiswürdigung der Strafkammer ist auch widersprüchlich.  
Das Landgericht geht davon aus, dass die Aussage der Zeugin „leichtgradig verarmt“ ist und erklärt dies mit dem Inkadenzphänomen, dem allgemeinen, durch Zeitablauf bedingten Erinnerungsverlust, einem Prozess motivierten Vergessens sowie der Aufregung der Zeugin im Rahmen der Vernehmung in einem Gerichtssaal. Ungeachtet dessen, dass eine verstärkte Heranziehung solch allgemeiner Grundsätze bei der Würdigung einer konkreten Zeugenaussage die Besorgnis begründen kann, der Tatrichter habe die Bedeutung des Prüfungskriteriums der „Aussagekonstanz“ missachtet (vgl. BGH, Urteil vom 27. Februar 2013 - 2 StR 206/12 - juris Rn. 18), stehen diese Ausführungen im Widerspruch zu der an anderer Stelle getroffenen Feststellung, die Schilderungen der Nebenklägerin seien „überdies logisch konsistent und detailreich“. Wie eine „leichtgradig verarmte“ Aussage zugleich detailreich sein kann, erschließt sich dem Senat ohne nähere Erörterung nicht.

BGH, Urteil vom 27.02.2013 - 2 StR 206/12 BGH 8

Dass die Strafkammer dabei vor allem im Rahmen der Prüfung der Aussagekonstanz immer wieder (allgemein) auf „natürliche Vergessens-, Vermengungs- und Verschmelzungsprozesse" sowie (irreführend) auf das „Inkadenzphänomen" abgestellt hat, lässt vorliegend noch nicht besorgen, das ihr dabei die Bedeutung des Prüfungskriteriums „Aussagekonstanz" in rechtlich bedenklicher Weise aus dem Blick geraten sein könnte.

Fußnoten

Die »Gesellschaft für Freiheitsrechte e. V.« (GFF) unterstützte eine Klage des kamerunischen Geflüchteten Alassa Mfouapon gegen eine Groß-Razzia im Mai 2018 in der Erstaufnahmeeinrichtung Ellwangen.

Das Verwaltungsgericht Stuttgart hat nun entschieden, dass der Polizeieinsatz rechtswidrig war.

Hierzu aus der Pressemitteilung der GFF:

„Das Verwaltungsgericht hat mit dieser Entscheidung klargestellt, dass die Polizei Geflüchteten-Unterkünfte nicht um 5 Uhr morgens stürmen darf. Dennoch greift das Urteil viel zu kurz. Die Zimmer in Geflüchteten-Unterkünften sind private Wohnräume und als solche gilt für sie das Recht auf Unverletzlichkeit der Wohnung“, sagt Sarah Lincoln, Juristin und Verfahrenskoordinatorin bei der GFF.

Bei einem massiven Polizeieinsatz am 3. Mai 2018 durchsuchten 500 Polizist*innen sämtliche Zimmer der Geflüchteten-Unterkunft, ohne dass dafür ein Durchsuchungsbeschluss vorlag. Nach ausführlicher Befragung der beteiligten Polizeibeamten gab das Gericht nun dem Kläger Recht. Sowohl die Durchsuchung seines Zimmers als auch die Personenfeststellung und das Anbringen von Handschellen waren unverhältnismäßig. „Viele Polizisten, die in der Verhandlung ausgesagt haben, konnten sich an den Einsatz nicht mehr gut erinnern. Für uns ist es so, als wäre es gestern gewesen“, sagt der Kläger Alassa Mfouapon. „Dieses Urteil ist wichtig für alle Geflüchteten, deren Rechte die Polizei an dem Tag verletzt hat.“

Das Urteil steht noch aus. Doch aus der Pressemitteilung des Gerichts ergibt sich, dass die Richter allein auf den Polizeieinsatz zur Nachtzeit problematisieren.

Die Unterkünfte der Geflüchteten sollen wohl nicht dem Schutz des Art. 13 GG unterfallen.

„Indem das Verwaltungsgericht jetzt sagt, diese Zimmer verdienen keinen Schutz, spricht es Geflüchteten den privaten Rückzugsraum ab und fällt hinter die Entwicklungen in der Rechtsprechung zurück“

Sarah Lincoln, GFF

Literatur

Weblinks

Das Wettbewerbsregistergesetz (WRegG) wurde zum 18.01.2021 geändert. Jetzt soll das Wettbewerbsregister - im Volksmund meist »Korruptionsregister« gennant - im Laufe des Jahres 2021 beim Bundeskartellamt als Registerbehörde eingerichtet werden.

Inhaltsverzeichnis

Wozu dient das Wettbewerbsregister

Das Wettbewerbsregister stellt Auftraggebern für Vergabeverfahren Informationen zur Verfügung, die es ihnen ermöglichen, zu prüfen, ob ein Unternehmen wegen bestimmter Wirtschaftsdelikte von dem Vergabeverfahren auszuschließen ist oder ausgeschlossen werden kann. Damit können Auftraggeber künftig besser das Vorliegen von Ausschlussgründen gemäß den §§ 123 und 124 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) prüfen.

Wann wird ein Unternehmen eingetragen

Eingetragen werden Unternehmen, denen bestimmte Wirtschaftsdelikte zuzurechnen sind, insbesondere Bestechung, Bildung krimineller Vereinigungen, Terrorismusfinanzierung, Geldwäsche, Betrug und Subventionsbetrug zu Lasten öffentlicher Haushalte, Steuerhinterziehung, Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt, Verstöße gegen bestimmte arbeitsrechtliche Vorschriften sowie Kartellabsprachen. Voraussetzung für die Eintragung ist bei Kartellabsprachen der Erlass einer kartellbehördlichen Bußgeldentscheidung, bei den übrigen Delikten das Vorliegen einer rechtskräftigen Sanktionsentscheidung (strafgerichtliche Verurteilung, Strafbefehl oder Bußgeldentscheidung). Teilweise muss die verhängte Sanktion zudem eine gewisse Bagatellschwelle überschreiten. Die Mitteilung der Sanktionsentscheidungen erfolgt elektronisch durch die zuständigen Staatsanwaltschaften und Verwaltungsbehörden.

Wann wird der Eintrag gelöscht

Die Frist zur Löschung einer Eintragung und der Fristbeginn sind abhängig von dem der Eintragung zu Grunde liegenden Fehlverhalten. Die Frist beträgt fünf Jahre für Delikte, die einen zwingenden Ausschlussgrund darstellen, und drei Jahre für Delikte, die Gegenstand eines fakultativen Ausschlussgrunds sein können.

Rechtsmittel

Gegen die Entscheidungen der Registerbehörde ist die Beschwerde zulässig, vgl. § 11 WRegG.

Datenschutz

Es ist nun Sache der Bundesländer, ihre eigenen Korruptions- und Wettbewerbsregister sowie entsprechende Rechtsgrundlagen abzuschaffen. Bisher hat das nur Schleswig-Holstein erledigt.

Weitere Informationen enthalten Sie unter:

Das Europäische Parlament fordert in einer Entschließung1 weitere Verbesserungen des Systems des Europäischen Haftbefehls, um rechtsstaatliche Defizite in einigen Mitgliedsstaaten und verfahrensrechtlichen Problemen u.a. mit Verurteilungen in Abwesenheit anzugehen.

Eine zentrale Forderung ist, dass die Ablehnung eines Europäischen Haftbefehls durch den vollstreckenden Mitgliedsstaat zulässig sein soll, wenn stichhaltige Gründe für eine Verletzung von Grundrechten nach der Charta der Grundrechte der Europäischen Union bestehen.

In der Entschließung wird zudem gefordert, dass die Liste mit Straftaten, die keine Überprüfung der beiderseitigen Strafbarkeit verlangen, um Hassverbrechen, geschlechtsspezifische Gewalt und Umweltverbrechen erweitert werden soll. 

Änderungsanträge 101 und 102, wonach ausdrücklich auch auf das Recht auf ein unabhängiges Gericht Bezug genommen wurde, haben sich nicht durchgesetzt.

Die Entschließung des Europäischen Parlaments ist rechtlich nicht bindend, hat jedoch auffordernden Charakter und knüpft an eine langjährige Befassung des EP mit diesem Thema an.

»Polizeihaft« ist je nach Bundesland teilweise zeitlich unbegrenzt und ohne anwaltliche Begleitung bzw. Überprüfung.

In Bayern ist nach derzeitigen Recht die »Präventivhaft« grundsätzlich unbeschränkt möglich. Die Polizei muss aber innerhalb der zeitlichen Grenzen des Art. 104 Abs. 2 GG eine richterliche Haftanordnung einholen, die jeweils bis zu drei Monaten erfolgen bzw. verlängert werden kann.

Hierzu der DAV (durch den Ausschuss Gefahrenabwehrrecht) in seiner Stellungnahme Nr.: 93/2020 vom Dezember 2020:

Freiheitsentziehungen auf der Grundlage des Polizeirechts stellen schwerwiegende Grundrechtseingriffe dar. Zur Wahrung der Rechte des Betroffenen ist auch in den Polizeigesetzen des Bundes und der Länder eine Regelung aufzunehmen, die auch bei einer richterlichen Entscheidung über die Zulässigkeit und Fortdauer einer Freiheitsentziehung auf der Grundlage des Polizeirechts anwaltlichen Beistand verbindlich vorgibt. Der ungehinderte und vertrauensvolle Umgang mit einem Anwalt ist im Polizeirecht von ebenso hoher Bedeutung wie im Strafrecht.

Siehe hierzu auch die PM 40/20 des DAV.

Die Anforderungen an die besondere Beweiswürdigung bei der Konstellation »Aussage gegen Aussage« gelten freilich auch bei schweigenden Angeklagten.

Inhaltsverzeichnis

Rechtsprechung

BGH, Beschluss vom 28.04.2022 – 4 StR 299/21 1

In Fällen, in denen - wie hier auch bei einem schweigenden Angeklagten (vgl. KK-StPO/Ott, 8. Aufl., § 261 Rn. 100 mwN) - „Aussage gegen Aussage“ steht, müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass das Tatgericht alle Umstände, welche die Entscheidung beeinflussen können, in seine Überlegungen einbezogen hat.

BGH, Urteil v. 6.12.2012 – 4 StR 360/12 2

In einem Fall, in dem Aussage gegen Aussage steht, müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass das Tatgericht alle Umstände, welche die Entscheidung zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angekl. zu beeinflussen geeignet sind, erkannt, in seine Überlegungen einbezogen und auch in einer Gesamtschau gewürdigt hat (st. Rspr.; vgl. nur BGH Beschl. v. 11. 5. 2011 – 4 StR 163/11, StraFo 2011, 400; Urt. v. 14. 12. 2011 – 1 StR 501/11, NStZ-RR 2012, 148, 149; Beschl. v. 22. 5. 2012 – 5 StR 15/12, NStZ-RR 2012, 287, 288). Diese Grundsätze gelten auch, wenn der Angekl. sich – wie hier – nicht zur Sache einlässt und der Aussage des einzigen Belastungszeugen ausschlaggebendes Gewicht zukommt (vgl. KK-Schoreit aaO, Rn 29 mwN).

BGH, Beschluss v. 17.12.1997 – 2 StR 591/97 3

In einem Fall, in dem Aussage gegen Aussage steht – oder wie hier ein Angeklagter sich nicht einläßt und nur die Aussage des einzigen Belastungszeugen zur Verfügung steht – und die Entscheidung allein davon abhängt, ob diesem einen Zeugen zu folgen ist, müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, daß der Tatrichter alle Umstände, die die Entscheidung beeinflussen können, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat.

Literatur

Eschelbach in BeckOK StPO 4

Besondere Anforderungen stellt die Rspr. auch an die Beweiswürdigung in Konstellationen, in denen „Aussage gegen Aussage“ steht (BGH NStZ-RR 2017, 319; BeckRS 2021, 8266; 2021, 24; Schmandt StraFo 2010, 446 ff.) und das Gericht entscheiden muss, welcher der widerstreitenden Angaben, derjenigen des (die Tatbegehung bestreitenden oder schweigenden) Angeklagten oder derjenigen des einzigen Belastungszeugen (BGHSt 44, 153 (158 ff.); BGH NStZ-RR 2016, 382 f.; BeckRS 2016, 16083; OLG Koblenz BeckRS 2016, 13083), eines Mitangeklagten (BGH NStZ-RR 2002, 146 (147)) oder eines Kronzeugen (OLG Naumburg StV 2014, 594 (595)), das Gericht folgt (krit. Barton FS Ostendorf, 2015, 41 ff.). Es widerspricht einer Jahrtausende alten Tradition, dass in Fällen, in denen der alleinige Belastungsbeweis in der Aussage eines parteilichen Zeugen besteht, jedenfalls kein Vollbeweis gegen den Angeklagten angenommen werden kann (Haustein, Zu den Entscheidungsnormen bei Aussage gegen Aussage, 2017, 162 ff.; Sancietti FS Frisch 2013, 1233 (1236 ff.)).

Ott in KK-StPO 5

Eine Aussage-gegen-Aussage-Konstellation liegt dann vor, wenn außer der Aussage des einzigen Belastungszeugen keine weiteren belastenden Indizien vorhanden sind und wenn diese der Einlassung des Angeklagten entgegensteht (BGH NJW 1998, 3788; einschr. im Hinblick auf die Qualität der Einlassung, BGH NStZ 2003, 498 (499), krit. Deckers FS Hamm, 2008, 53 (58); KG NStZ 2010, 533; vgl. dazu Drees StRR 2012, 244 (245)) oder – und insofern ungenau als „Aussage-gegen-Aussage-Konstellation“ bezeichnet – wenn der Angeklagte schweigt (BGH StV 1998, 250; OLG Koblenz NStZ-RR 2005, 79 (80); StV 2007, 71).

Fußnoten